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„Die frohe Botschaft kommt aus Daraa!“

Di., 16. Okt. 2018

#1 Spirit of Hometown Daraa

Raed kommt aus Daraa. Das wussten schon einige unter den Homies. Doch welche Bedeutung seine Heimat für die syrische Revolution hat, die 2011 begann, wurde vielen erst durch den ersten Spirit if Hometown Abend im bei Kargah deutlich. Raed lud die rund 30 Gäste ein, Daraa aus seiner persönlichen Perspektive kennenzulernen. Sie sahen die Straßen, die er täglich zur Schule und später zur Universität nahm und sein Wohnviertel, in dem ebenfalls sein Onkel und seine Großmutter leben. den Großteil der Aufnahmen schickte ihm seine Schwester, die noch immer in Daraa lebt. Sie machte sich auf den Weg, die Orte ihres Bruders zu besuchen. Sie machte Bilder ihres Wohnviertels, des Olivenhains ihrer Eltern, des Stadtzentrums sowie der Schule. Letztere war verwaist, da im September die langen Ferien sind. Viele der Orte wirkten auf den Bildern verlassen. Große Teile Raeds alter Schule sind noch zerstört, in anderen findet mittlerweile wieder Unterricht statt. Raed machte es sichtlich Spaß, seine Bilder zu teilen und den Gästen Anekdoten aus seiner Kindheit zu erzählen.

Im Anschluss ergänzte Ansar die persönliche Ebene durch eine politische und gesellschaftliche Perspektive und erläuterte die Entwicklungen in Daraa und der umliegenden Provinz seit 2011. „Die frohe Botschaft kommt aus Daraa!“ dieser Satz bleibt hängen. Wenn es eine Revolution in Syrien gibt, dann muss diese ihren Ursprung in Daraa haben. Die an der jordanischen Grenze liegende Provinz im Süden Syriens ist insbesondere aufgrund landwirtschaftlicher Strukturen sehr wichtig und bedeutend für die nationale Wirtschaft.
Die Unzufriedenheit der Bevölkerung hatte viele Ursachen: Seit 1963 herrscht in Syrien ein Notstandsgesetz, das rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft setzt. Mitarbeiter*innen des Geheimdienstes erhalten die absolute Immunität und können so auch bei strafrechtlichen Vergehen nicht zur Verantwortung gezogen werden. Eine über mehrere Jahre anhaltende Dürreperiode erschwerte ab 2005 den Menschen das Leben in der landwirtschaftlich-geprägten Region. Die Auswirkungen der Dürre waren umso gravierender, da der Staat über Jahrzehnte auf eine wasserintensive und Ressourcen ausbeutende Landwirtschaftspolitik gesetzt hatte. Hunderttausende Menschen verließen die Landwirtschaft oder zogen gleich in die größeren Städte wie Daraa-Stadt und Damaskus.
Der Auslöser der Revolution war am 06.03.2011 schließlich die Verhaftung von Kindern, die an die Mauer ihrer Schule „Du bist an der Reihe Doktor“ sprayten. Wohl eher ein Kinderstreich, aber für den Mediziner und Präsidenten Syriens Bashar al-Asad eine offensichtliche Beleidigung. Rund
eineinhalb Wochen später gingen Menschen auf die Straße. Die Regierung antwortete mit Wasserwerfern und scharfer Munition, sodass bereits am ersten Tag Demonstrierende getötet wurden. In Folge der Unterdrückung friedlicher Proteste erweiterten sich die Forderungen, aber auch der Protest über die Stadtgrenzen hinaus. In ganz Syrien erhielten Menschen mit Handykameras gemachte Bilder und Videos von ihren Freund*innen aus Daraa. Durch soziale Medien verbreiteten sich Forderungen und Aufrufe. Auch die Formen des Protests verändert sich, in dem einzelne Gruppen kreativ auf Menschenrechtsverletzungen und Blutvergießen aufmerksam machten. So wurde beispielsweise das Wasser eines Springbrunnens blutrot gefärbt. Für ein Sicherheitsregime, das nur mit und auf Gewalt reagieren kann, eine vollkommene Überforderung.

In 2012 gründete sich eine „Zivile Kommission“ in Daraa, die die Selbstverwaltung der Provinz übernahm. Heute ist die Provinz Daraa wieder komplett unter Kontrolle des Regimes.
Die Räume für eine aktive Zivilgesellschaft sind eng. Dennoch hat die Revolution viele Initiativen hervorgebracht wie die Initiative „Olivenzweig“, welches für die Kinder, die aufgrund der extremen Gewalt nicht mehr zur Schule gehen konnten, eine alternative Bildung aufbauen wollten: alternativ zum stark hierarchischem Schulsystem des Regimes und alternativ zum Schrecken des Krieges. Zunächst fand im Projekt „Mein Zimmer ist mein Klassenzimmer“ fand der Unterricht zu Hause statt, weil der Schulweg für Kinder zu gefährlich war. Eine weitere Initiative ist die Jouri-Fraueninitiative, welche sich für die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte von Frauen engagiert. Nachdem Frauen in der Phase 2013-2014 teilweise in den Hintergrund geraten waren, ist die Jouri-Initiative nur eine von vielen Frauengruppen, die dafür gekämpft hat, dass ein Syrien ohne Assad auch tatsächlich ein Syrien für alle Syrer*innen sein kann.

Franziska (Hometown e.V.) und Ansar (Adopt a Revolution)

 


Gefördert wurde die Veranstaltung durch: Landeshauptstadt Hannover, Fachbereich Soziales, Sachgebiet Integration

Raed ist seit Februar 2018 bei Hometown aktiv. Er lebt seit Ende 2015 in Hannover und in Deutschland. Zuvor hat er einige Monate in Jordanien gelebt. Er hat in Damaskus und in Daraa Jura studiert. Wegen des Krieges musste er Daraa verlassen. In Hannover hat er lange Zeit ehrenamtlich in einem Altenheim gearbeitet. Heute bereitet er sich auf sein Studium vor. Der Plan: In Hannover Medizinisches Informationsmanagement zu studieren.

Ansar Jasim arbeitet bei der Organisation „Adopt a Revolution“, die sich für die Stärkung der Zivilgesellschaft in Syrien einsetzt. Seit 2011 schreibt sie wiederholt für Alsharq über Syrien, Irak und Bahrain. Ihr besonderer Fokus liegt auf Palästinenser_innen in Syrien sowie gesellschaftliche und politische Entwicklungen, insbesondere des zivilen Widerstands gegen das Asad-Regime in Syrien seit dem syrischen Aufstand von 2011.

 

Titelbild / Quelle: https://www.facebook.com/pg/Combineolivebranch/photos/?tab=album&album_id=992348110912444




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